Samstag, 8. März 2014

Bissige Meute

Schauspiel: „Punk Rock“ des britischen Dramatikers Simon Stephens im Felina-Areal in Mannheim

Das Theater ist hier ganz nah dran an der Realität: Die Abschlussklasse der Mannheimer Theaterakademie spielt die Abschlussklasse in dem aufrührenden Stück „Punk Rock“ von Simon Stephens.
In der Inszenierung von Boris C.Motzki im Felina-Areal können die Darsteller durch ihre Authentizität anrühren.


















Wo sonst die Zuschauertribüne ist, stehen sieben traurige Jugendliche verloren zwischen leeren Stuhlreihen, halten rote Luftballons in die Höhe und singen. In dieser zugleich realistischen und abstrakten Tribühnensituation werden sie dann höchst lebendig agieren. Sie steigen über Stuhllehnen, um sich ständig umzugruppieren, rücken zur Seite, nach oben oder nach unten. Wer sitzt bei wem? Wer sitzt allein und wo? Der britische Dramatiker Simon Stephens greift in seinen Stücken harte soziale Themen auf. In „Punk Rock“ lässt er die Gruppendynamik in einer Eliteschule bis zum Amoklauf eskalieren. Teure Privatschulen haben in Deutschland nicht die Bedeutung wie in Großbritannien, aber auf deutschen Schulhöfen,wo „Du,Opfer!“ als gängiges Schimpfwort kursiert, ist eine ähnliche Ausgangslage zu vermuten. Unter den Upper Ten spielen materieller Neid und Erpressung keine Rolle. Ein Geldklau wird fingiert, um den Beschuldigten zu demütigen. Dafür beherrschen Sex und elterlicher Erwartungsdruck alles Sinnen und Trachten der Schüler. In „Punk Rock“ stehen dabei die Jungen im Fokus. Die Mädchen tragen als eine Art Schuluniform zu bunten Sneakers provozierend enge und kurze schwarze Röcke mit knappenweißen Blusen, an denen sie ständig herumziehen, um sie noch aufreizender zumachen. Mit „du bist zu dick“ wird das Selbstbewusstsein heruntergemacht; mit „ich bin zu dick“ machen sich die Mädchen selbst herunter. Lilly, gespielt von Ekaterina Ivanova, kommt neu in die Klasse. Sie sitzt zunächst ganz unten, steigt aber rasch auf. Der sanfte, sensible William (Edgar Diehl) sucht sich ihr schüchtern zu nähern, doch siemacht sich an den klobigen Nicholas (Benjamin Wendel) heran. Für den dünnhäutigen William ist das ein schwerer Schlag. Obwohl er selten direkte Zielscheibe von Angriffen ist, reagiert er zunehmend heftiger. Lilly ist ein liebes, harmloses Mädchen, aber psychisch labil. Psychisch resistent ist einzig der robuste Sportler Nicholas in seiner roten Jacke. Tanja (Laura Kaiser) ist eine, die sich kümmert und Wogen glättet, auch dann noch, wenn ihre Freundin sie hintergeht. Gegen den Frust futtern sie gemeinsam. Es ist die einzige Situation, in der das Mauerblümchen Tanja einmal nicht allein ist. Freundin Cissy (Selina Böhm) ist eine konturlose Mitläuferin, die aber in allem die Beste sein will: beste Noten, beste Figur, bester Freund. Dieser ist Bennett (Ralph Opferkuch). Er reißt am lautesten den Mund auf, intrigiert am abgefeimtesten, grapscht am gröbsten, mal bei Cissy,mal beiNicholas, terrorisiert alle, aber ammeisten den armen Chadwick (Roman Kimmich). Seine Welt, in die er sich selbstvergessen hineinsteigern kann, ist die Astrophysik. Sie gibt ihm das dicke Fell, um in dieser bissigen Meute als Underdog zu überleben. Die Schüsse am Ende fallen im Dunkeln und lassen ratlos zurück.

Foto: Wolfgang Detering
Quelle: Rheinpfalz

Freitag, 7. März 2014

Worte auf den Weg

An einen starken Abschlussjahrgang 2014


















Ein Weg, eine Gruppe, die ein Stück des Weges gemeinsam geht. Ihr seid Suchende nach dem Eigenen, alles aufsaugend was euch auf dem Weg begegnet. Innehaltend für eine Zeit die vorbeifliegt, eine Suche, eine Korrektur, ein Luftholen, ein Überdenken. Der Weg ist das Ziel und ein Ankommen ist ausgeschlossen. Danke, dass wir Wegweiser, Schlagloch und Haltestelle auf dem Weg sein durften.
Im Stück „Punk Rock“ geht es um Abgrenzen, Ausgrenzen und Dazugehören. Es geht um Schein und Sein. Auf der Bühne habt ihr euch für das Sein entschieden, in diesem Augenblick und mit allen Sinnen.
Wir wünschen euch die richtigen Menschen auf eurem Weg, die euch fördern und fordern. Mut,  Entschlossenheit und Neugier bringt ihr mit an den Start, Bühnenluft habt ihr alle schon geschnuppert, also los geht’s! Ihr seid bereit zum Durchstarten, wir wünschen euch dabei alles Gute.

Silvana Kraka und Mario Heinemann Jaillet
Schulleitung der Theaterakademie Mannheim

© Foto: Wolfgang Detering

Beitrag von artmetropol.tv zu "Punk Rock" an der Theaterakademie Mannheim

Schauspiel: Die aktuelle Abschlussklasse 2014 der Theaterakademie Mannheim überzeugte mit dichtem Spiel.

Schauspiel: Boris C. Motzki inszeniert „Punk Rock“

Dunkle Jugend
Von unserem Mitarbeiter Bernd Mand

“Ich habe es getan” sagt William Carlisle, gespielt von Edgar Diel, und macht eine kurze Pause – “weil ich kann.” Vielmehr Erklärung braucht es am Ende auch kaum noch, wenn in Simon Stephens “Punk Rock” das Licht erlöscht und finales Schwarz die Stuhlreihenbühne im Theater Felina Areal füllt. Ein drastisch dramatisches Ende für die Geschichte von sieben Jugendlichen auf einer englischen Privatschule, die Regisseur Boris C. Motzki in einer klug spannenden Raumspiegelung mit zwei gegenübergestellten Zuschauertribünen behutsam wachsen lässt.

























Hoher Leistungsdruck


Lilly (Ekaterina Ivanova) ist neu an der Schule und trifft in der Oberstufenbibliothek auf sechs Mitschüler, die alle unter hohem Leistungsdruck stehen und wohl vor allem mit der Aufgabe zu kämpfen haben, die neue Elite des Landes zu werden. Machtspiele zwischen dem arroganten Zyniker Bennett (Ralph Opferkuch) und dem introvertierten und überintelligenten Chadwick, gespielt von Roman Kimmich, und Stellungskämpfe zwischen der unter hohen elterlichen Anforderungen leidenden Cissy (Selina Böhms) und Tanya (Laura Kaiser), die bereits jetzt von der Familienplanung träumt, gehören zum alltäglichen Schulbild. Als sich Lilly in den Lacrossespieler Nicholas (Benjamin Wendel) verliebt und William abblitzen lässt, beginnt die angespannte Situation endgültig zu kippen.






























Motzki baut mit der Absolventenklasse der Theaterakademie einen aufwendig verwobenen Dialogabend mit klarer Typenzeichnung, der die Spannung langsam hochköcheln lässt. Vielleicht manchmal ein wenig zu langsam und stockend, aber mit einem klaren Blick auf die Stückstruktur, der zum musikalischen Leitmotiv von Radioheads “Creep” immer wieder hinter die Fassaden der jugendlichen Figuren schaut. Und mit dichtem Spiel seiner Darsteller ein rund gebautes und nachdenkliches Stück auf die Bühne bringt, das dem Zuschauer auch immer gleich noch den Spiegel vors Gesicht zu halten scheint.

© Mannheimer Morgen, Freitag, 07.03.2014
© Foto: Wolfgang Detering